Landschaft Norwegen

BOREOUT STATT BURNOUT

Burnout hat wohl jeder schon mal gehört. Man ist entweder selbst davon betroffen, kennt jemanden der davon betroffen ist oder zumindest jemanden der jemanden kennt der jemanden kennt. Was das ungefähr bedeutet kann man sich auch noch vorstellen. Burnout heißt wörtlich übersetzt „ausgebrannt“ und das trifft es schon ziemlich gut. Eine eindeutige Liste von Beschwerden, die gegeben sein müssen, damit von Burnout gesprochen werden kann, existiert bis heute nicht. Außerdem verändern sich diese Beschwerden häufig im Laufe der Zeit, weshalb oft von verschiedenen Phasen des Burnouts gesprochen wird. Im Prinzip kann auch jeder davon betroffen sein, egal, welchen Beruf man ausübt und egal, wie alt man ist und wie gefestigt im Leben man zu sein scheint. Dennoch gibt es Auffälligkeiten: Besonders Menschen, die eng und viel mit anderen Menschen zusammenarbeiten und dabei dann noch Führungs- und Leitungsaufgaben übernehmen, also Führungskräfte in der Pflege, im Bereich Erziehung, Sozialarbeit, Heilerziehungspflege, Mitarbeiter in der Erwachsenenbildung aber auch Führungskräfte im Verkauf sind häufig betroffen.  In den 1970er Jahren standen Manger im Zentrum der Burnout-Forschung, was fälschlicherweise dazu führte, dass es auch heute oft noch als Managerkrankheit verstanden wird, obwohl wie gesagt vor allem Menschen, deren Arbeit am und mit anderen Menschen und oft auch mit zwischenmenschlichen Extremsituationen zu tun hat, betroffen sind.

Burnout tritt also eher dann auf, wenn man sich überfordert, ausgelaugt oder einfach am Ende seiner Kräfte angekommen fühlt. Betroffene sind oft sehr engagiert, haben das Bedürfnis, etwas zu verändern und nicht selten den Wunsch, anderen zu helfen. Sie sind fast immer perfektionistisch, überdurchschnittlich leistungsbereit und idealistisch. Es scheint, als gäbe es einen Zusammenhang zwischen anspruchsvollen Berufen, engen Deadlines und einem hohen Anspruch an sich selbst, alles perfekt machen zu wollen.

Burnout haben wir geklärt. Aber was bitte ist ein Boreout?

Zunächst muss ich sagen, dass der Begriff „Burnout“ in meinen Ohren wesentlich positiver klingt als „Boreout“. Burnout steht für Leute, die alles geben, die sich reinknien, die immer noch ein bisschen mehr geben, die sich engagieren und hohe Ansprüche haben, sowohl an ihre Mitmenschen als auch an sich selbst. So jemanden haben wir doch alle gerne um uns herum, oder? Jemand, der an „Boreout“ leidet, also ganz hart ausgedrückt an Langeweile, der ist daran vielleicht nicht ganz unschuldig. Vielleicht ist so jemand ja einfach von Natur aus weniger engagiert, weniger motiviert, nicht so klug und vielleicht auch nicht ganz so bereit, alles von sich zu geben. Denn wenn er sich so einsetzen würde, wie unser Freund, der mittlerweile leider ausgebrannt ist, dann wäre er eher ein potenzieller Burnout-Kandidat. Oder?

Naja, ganz so einfach ist es nicht. Mitarbeiter, die an Boreout leiden, leiden an Langeweile und Unterforderung im Job. Ihr Potenzial bleibt ungenutzt, sie fühlen sich nicht ausgelastet. Das heißt sie sind eben sehr wohl – in den meisten Fällen zumindest – motiviert, engagiert und bereit, voll in ihrem Job aufzugehen und alles zu geben.  Dadurch, dass sie ihre Fähigkeiten und ihr Potenzial für lange Zeit nicht voll ausschöpfen können, fangen sie an zu zweifeln. An sich selbst. An ihrem Wert. An der Sinnhaftigkeit des Lebens. Dadurch, dass sie im Job im Grunde genommen nichts zu tun haben, oder zumindest nichts, was ihre Aufmerksamkeit benötigen würde, und hauptsächlich ihre Stunden absitzen, haben die meisten früher oder später, aber immer irgendwann, das Gefühl, ihr Leben zu verschwenden. Die Enttäuschung darüber, wie anders ihr Leben verlaufen ist, als sie es sich ausgemalt hätten; wie unglaublich unbedeutend und überflüssig sie eigentlich sind, tut der Seele weh und bedeutet Stress für sie.

Hinzu kommt, dass wir nun mal in einer Leistungsgesellschaft leben, in der geringe Leistung nicht gern gesehen wird. Also muss man die Langeweile verstecken. Vor den Kollegen, vorm Chef, vor den Freunden und vor der Familie. Im Homeoffice geht das noch besser als im Büro. Da muss dann konzentriert auf den Bildschirm gestarrt werden, möglichst flotten Schrittes zum Drucker gelaufen werden und auch wenn nur ein einziges Blatt mit Infos über das Straßenfest nächste Woche ausgedruckt wurde, zeigt das den anderen, wie beschäftigt man doch ist. Sich bloß keine Blöße geben. Bloß nicht auffallen. Bloß nicht früher gehen, selbst wenn alles erledigt ist und es wirklich nichts, aber auch gar nichts, mehr zu tun gibt. Wenn alle jammern, wie viel sie zu tun hätten und wie busy sie die ganze Zeit sind, dann muss man selber auch einsteigen. Wenn alle am „hustlen“ sind, von einem Meeting ins nächste hüpfen, dazwischen sogar vergessen zu essen und man selbst die Sekunden zählt, sich irgendwie die Zeit vertreibt und sich eigentlich einfach nur danach sehnt, endlich den Laptop zuzuklappen und einen weiteren Tag abzuhaken, dann fragt man sich schon, was bei einem selbst eigentlich schief läuft. 

Klar, es gibt sie: Die Leute, die jeden Tag Dienst nach Vorschrift machen, ab und zu mal hier und da einen Krankheitstag einschieben, selbst wenn sie eigentlich kerngesund sind, die es kaum erwarten können, nach Hause zu kommen und die sich schon lange nicht mehr mit ihrer Arbeit identifizieren können. Aber bei den wenigsten von ihnen ist das schon immer so gewesen. Denn eins der menschlichen Grundbedürfnisse, zumindest für die allerallermeisten, ist es, ein Teil von etwas zu sein und seinen Beitrag für das große Ganze zu leisten. An etwas mitzuwirken. Gefordert zu sein. Wertvoll zu sein. Zu wissen, dass man selbst und seine Arbeit einen Unterschied macht. Das kann sich auf so vielen verschiedenen Ebenen abspielen, man muss dafür nicht zwangsläufig Bundeskanzlerin oder Arzt sein, es reicht schon, wenn man signalisiert bekommt, dass der eigene Beitrag von Bedeutung ist.

Wenn man dieses Gefühl nicht mehr hat, wenn man glaubt, dass es keinen Unterschied machen würde, ob man einfach eine Woche lang nicht arbeiten würde oder wenn die Ideen, die einem im Kopf herumschwirren und von deren imminenter Bedeutung man überzeugt ist, ständig überhört oder belächelt werden, man immer nur hört, dass die nötigen Kapazitäten nicht vorhanden wären und überhaupt alles nicht so leicht umsetzbar wäre, dann demotiviert das. Dann demotiviert das selbst und vielleicht sogar vor allem die Motivierten, die Anpacker und die Idealisten. Diejenigen, die etwas verändern wollen, die gefordert werden wollen. Genauso schädlich ist übrigens auch Monotonie. Und die betrifft längst nicht mehr nur Fließbandarbeiter, sondern auch Büroleute, denn auch dort gibt es Routinen, sich immer wiederholende Abläufe und wenig Abwechslung. Für manche Menschen klingt sowas nach einem Traumjob. Aber für andere Menschen ist das purer Stress. Denn eigentlich sind Boreout und Burnout gar nicht so verschieden. Bei beidem handelt es sich um eine Form von Überforderung. Bei Burnout gibt es zu viel davon, was zu Überforderung führt,  beim Boreout zu wenig und damit Unterforderung. Das Problem ist, dass auch ein Boreout nicht nach dem Motto Zack! Boom! Hier bin ich! Auftaucht, sondern schleichend und fast unbemerkt immer mehr Raum einnimmt. Betroffene wissen meist unterbewusst sehr wohl, dass sie eigentlich mehr können, ergeben sich jedoch nach und nach ihrem langweiligen Schicksal.

Woher ich das so genau weiß, fragt ihr euch jetzt vielleicht. Tja, ganz einfach: Ich habe zwar noch nie an einem Burnout gelitten, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mitten in einem Boreout stecke. Mein Job langweilt mich. Ich bin mit jedem Tag, den ich länger dort arbeite, morgens unmotivierter, aus dem Bett zu steigen, und das, obwohl ich ein absoluter Frühaufsteher bin und es früher geliebt habe, vor 6 wach zu sein und ganz viel Zeit zu haben. Ich mache jeden Tag mehr oder weniger die exakt gleichen Dinge, die ich auch am Tag davor und am Tag davor und am Tag davor – you get the picture – gemacht habe. Meine Ideen werden zwar für gut befunden, jedoch nicht umgesetzt, weil entweder nicht genug Zeit, nicht genug Geld oder schlichtweg nicht genug Personal, dafür aber haufenweise Ausreden, zur Verfügung stehen. Schon lange habe ich das Gefühl, dass meine Arbeit absolut keinen Mehrwert liefert und dass es keinen großen Unterschied machen würde, wenn ich ab morgen nicht mehr arbeiten würde, bis auf die Tatsache, dass mein Chef sich ein paar Tausend Euro pro Monat sparen könnte. 

Ich fühle mich weder mental noch körperlich ausgelastet und kann locker auch nach Feierabend noch über Gott und die Welt philosophieren, eine neue Sprache lernen und einen bis vier Blogeinträge schreiben. Meine Gedanken drehen Kapriolen, stehen niemals still und obwohl ich den ganzen Tag „arbeite“ fühle ich mich so untätig wie sich ein Arbeitsloser, alleinstehender Mann fühlen muss. Ohne hier jemanden angreifen zu wollen. Ich bin einfach nicht dafür gemacht, nichts zu tun. Und wenn ich nichts tue, dann bewusst. Ein Buch lesen oder Musik hören oder Spazieren gehen. Nicht am Bildschirm sitzen dabei und so tun als wäre ich mega busy, obwohl ich eigentlich doch nur wieder nach Flügen schaue, Videos von tanzenden Katzen anschaue oder irgendwelche Netflix-Serien schaue. Ich weiß, dass ich in drei Monaten weg bin, und ich werde das schon noch aushalten. Aber ich weiß auch, dass ich ohne dieses Enddatum wahrscheinlich durchdrehen würde. Deshalb ist es mir so wichtig, auch für diese etwas weniger bekannte Form der psychischen Erkrankung, Bewusstsein zu schaffen. Extreme sind eigentlich nie gut. Was für die Politik gilt, trifft auch hier zu. Genauso wenig wie Dauerstress ist Dauerlangeweile gut. Für niemanden. Stress und Unterforderung fangen bei dem einen vielleicht früher an als bei dem anderen, aber davor gefeit ist keiner.

Also lasst uns achtsam miteinander sein. Nachfragen. Hinschauen und hinhören. Unterstützen, wo wir können. Ausnahmsweise nicht you do you, I do me. Sondern gemeinsam.

 

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