Landschaft Norwegen
17. Juni 2021

LISSABON - Tagebuchmomente

Im Mai war ich für einen Monat in Lissabon. Nicht nur einfach so als Tourist. Sondern wirklich, um dort zu leben und zu arbeiten. Seit ich mein Auslandssemester in Lissabon gemacht habe vor vier Jahren, bin ich sowieso hoffnungslos verliebt in die Stadt. Und wollte unbedingt wieder zurück. In die für mich schönste Stadt Europas. Die Stadt, in der ich mich auch nach all den Jahren immer noch Zuhause fühle und der ich mich immer noch verbunden fühle.

Ich wollte ausprobieren, ob ich mir das vorstellen kann, so ohne feste Wohnung, immer on Tour, unterwegs. Digitaler Nomade sein. Das hier ist mein Tagebuch.

Nach diesen vier Wochen kann ich sagen: Ich liebe diesen Lebensstil. Überall und nirgends zu Hause sein zu können. Nach der Arbeit nicht einfach nur dieselbe Runde spazieren gehen, die Freunde in derselben immer gleichen Bar treffen, das immer gleiche Essen essen und die immer gleichen Gespräche führen. Sondern nach der Arbeit eine unbekannte, reizvolle Stadt erkunden, mit allem, was sie so zu bieten hat.

In neue Restaurants gehen, neue Gerichte ausprobieren, andere Häuser bestaunen, das Meer sehen, der Duft von Urlaub, lange Spaziergänge in der Gegend machen, sich wieder auf den Tag freuen und auf all die neuen Erlebnisse und Erfahrungen, die er mit sich bringt. Aus der Routine ausbrechen, ohne Urlaub zu machen, und weiterhin Geld zu verdienen. 

Die Wochenenden am Strand verbringen. Neue Leute kennenlernen. Andere Perspektiven, andere Lebensgeschichten hören. Sich darüber bewusst werden, was für ein Privileg das eigene Leben ist und wie wunderschön unsere Erde sein kann. An einem fremden Ort sein, eine Mischung aus Tourist und Local zu sein.

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eine von hundert wunderschönen Straßen in Lissabon

Ungefähr so habe ich mir das vorgestellt. Und schon so lange davon geträumt, auch mal ortsunabhängig, von überall auf der Welt arbeiten zu können, arbeiten und reisen zu verbinden. Dank Corona ist die Bereitschaft vieler Unternehmen, und auch die meines Arbeitgebers, seine Arbeitnehmer nicht mehr alle an einem Flecken versammelt haben zu müssen, solange die Ergebnisse stimmen, gestiegen. Und mein Traum war auf einmal griffbereit. Also hab ich die Chance ergriffen, meinen Freund dazu gebracht, einen Monat nach Lissabon zu ziehen und von hier aus zu arbeiten, bzw. zu studieren. Und er hat tatsächlich ja gesagt. In solchen Momenten bin ich so glücklich, jemanden an meiner Seite zu haben, dem mein Drang nach Freiheit und meine Träume nicht abschrecken, sondern jemanden, der mit mir mitträumt und mit dem ich sie Wirklichkeit werden lasse. Also haben wir uns ein Airbnb gesucht, einen Flug gebucht und los gings. Und mein Fazit könnte nicht positiver ausfallen.

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Bodenmosaike überall
Azulejos, die die Stadt noch mehr strahlen lassen

Ich bin nach wie vor verliebt in Lissabon, in die Menschen, deren Lebensfreude und alles hier. Und gemeinsam mit meinem Freund ist alles noch viel schöner. Ich will das auch gar nicht romantisieren. Manchmal zicken wir uns an, wer wieviel Platz am Küchentisch mit seinem Laptop hat, wer putzen muss und wer während eines Meetings ins Schlafzimmer muss. Aber größtenteils haben wir eine Routine gefunden, die für uns beide funktioniert. Mein Freund kocht, ich putze und mache die Wäsche. Wir haben beide Restaurants und Orte, die wir gerne sehen möchten und zum Glück sowieso in den meisten Sachen die gleiche Einstellung.

Wir lieben beide Märkte jeder Art, Aperitivos, Essen, Gespräche mit Einheimischen, Strandtage, gute Bücher und Sonnenuntergänge. Und können uns beide super schnell begeistern, für alles mögliche. Das heißt an den meisten Tagen rennen wir hier beide nach der Arbeit mit strahlenden, glänzenden Kinderaugen durch die Gegend und erzählen uns gegenseitig durchgängig wie glücklich wir sind, wie schön alles hier ist und wie froh wir sind, diese Erfahrung miteinander teilen zu können.

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Jacarandá Bäume - die typischsten und wohl schönsten Bäume Portugals

Nach zwei Wochen haben wir unsere Stammbäckerei, unsere Stammpastelaria und unsere Stammeisdiele. Wir kennen den Weg nach Hause von fast überall in der Stadt und wir haben schon so ziemlich jedes Miradouro durch. Wir haben Fado in einem kleinen Lokal angehört, waren am Strand, in süßen Geschäften, auf einigen Märkten und haben uns durch die portugiesischen Bäckereien probiert. Wir kennen unsere Nachbarn, unser Viertel und ich liebe diese Mischung aus Ferien, Fremde und Zuhause.

Es fühlt sich an, als lebten wir schon immer hier und gleichzeitig so, als seien wir erst gestern hier angekommen. Es gibt noch immer so viel zu erkunden und ich bin jeden Abend voller Vorfreude auf den nächsten Tag. Und genau diese Lebensfreude, diese Lust aufs Leben, habe ich monatelang vermisst. Life is good als digital nomad.

Und Lissabon ist die perfekte Stadt für diese Art von Arbeiten. Das Wetter ist besser, Lebenshaltungskosten günstiger und der Charme größer. Meine liebsten Restaurants, schönsten Ecken und generelle Tipps teile ich in einem extra Artikel mit euch. Und glaubt mir, da ist einiges zusammengekommen in diesen vier Wochen, vor allem weil ich vor vier Jahren ja schon mal für ein halbes Jahr in Lissabon war als Erasmus-Student.

Essen in Lissabon
Ausblick auf die wohl schönste Stadt der Welt

Das ist gewiss nicht für jeden das Richtige. Vielen würde das alles bald bestimmt zu anstrengend, zu unruhig werden. Manche würden vielleicht ihre Freunde, ihre Familie und ihre gewohnte Umgebung vermissen. Sich nach Zugehörigkeit und einer festen Basis sehnen. Aber für mich hat sich selten etwas so passend angefühlt.

Ich fühle mich wie der Prinz in Aschenputtel, der, nach einer aussichtslos scheinenden Suche, nachdem er Schuh um Schuh anprobiert hat lassen, endlich die Person gefunden hat, der er wie angegossen passt, sein Aschenputtel. Nach jahrelangem Probieren, Überlegen, Verändern und Zweifeln habe ich anscheinend also endlich etwas gefunden, das mich auch während des Jahres, während dem Arbeiten und dem Alltag glücklich machen kann.

Was mich am Arbeitsalltag bisher so gestört hat, war das Gefühl, an einem Ort gefangen zu sein. Jede Woche exakt dasselbe zu machen. Jeden Winkel zu kennen. Routinen sind gut. Aber nur für eine gewisse Zeit. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus und muss ausbrechen. Brauche was Neues. Freiheit. Abenteuer. Ohne völlig ohne Strukturen dazustehen. Ich möchte arbeiten und einen Mehrwert haben. Aber ich möchte nicht, dass sich mein ganzes Leben nur um die Arbeit dreht, dass alles von ihr bestimmt wird. Ich will immer noch spontan sein können. Endlich habe ich etwas gefunden, das mein Bedürfnis nach Struktur mit meinem Bedürfnis nach Freiheit kombiniert.

Europa - Berge, Klippen und Meer
spontane Wochenendausflüge an den Strand

Anders als bei jahrelangem Reisen und jahrelangem in-den-Tag-leben – versteht mich nicht falsch, ich bin sehr großer Fan von in-den-Tag-leben – hat man ja nach wie vor eine Art geregeltem Tagesablauf, mit Arbeit, Sport und Haushalt. Der Unterschied ist, dass ich meine Mittagspause jetzt nicht daheim auf dem Sofa oder auf einem Spaziergang durch die Wälder verbringe, sondern auf der Terrasse einer portugiesischen Bäckerei mit einem Pastel de Nata, Pao de deus oder einem anderen leckeren Gebäck auf dem Teller.

Oder in einem der zahlreichen, ganz eigenen Kleiderläden in unserer Nachbarschaft, Campo de Ourique. Oder einfach nur durch die Gegend spazierend und die Sonne genießend. Meine Abende verbringe ich jetzt nicht mehr mit Yoga, Lesen und Serien schauen, sondern mit Sonnenuntergang schauen, Restaurantbesuchen und natürlich immer noch Yoga.

Es hat sich also eigentlich gar nicht so viel geändert. Aber trotzdem habe ich ab dem ersten Moment, als ich wieder in Lissabon war und ich mich an unser Apartment und den konstanten Lärm gewöhnt habe, gewusst, dass es das ist, was ich in meinem Leben haben will. Ich brauche Abwechslung. Ich brauche aber auch Routinen. Ich brauche Neues.

Aber ich will einen Ort nicht nur kurz in 3 Tagen im Turbo-Schnelldurchlauf anschauen, alle Touri-Attraktionen abklappern und weiter, sondern ihren ganz eigenen Flair, ihren Charakter, ihre Eigenheiten, ihre Geheimnisse nach und nach auseinanderklappen, in mir aufsaugen. Mit den Menschen sprechen. In Cafes, Restaurants und Bars gehen. Mich treiben lassen. I

ch liebe das Gefühl, wenn sich alles neu und fremd anfühlt. Aber ich liebe es auch, wie sich mit jedem Schritt durch die neue Umgebung, jeder falschen Abzweigung und jeder neuen Straße der Nebel mehr lichtet, ich in meinem Kopf die verschiedenen Punkte miteinanderverknüpfen kann und meinen ganz eigenen gedanklichen Stadtplan baue.

Ascensor da Bica in Lissabon
ein bisschen Nostalgie darf auch nicht fehlen
Lissabon im Sonnenuntergang
die schönsten Sonnenuntergänge gibt's gratis dazu

Keine Ahnung, ob ich das in 5 Jahren immer noch so cool finde, aber jetzt, in diesem Augenblick, habe ich das Gefühl endlich mein fehlendes Puzzleteil gefunden zu haben, endlich ein Ventil für meine Rastlosigkeit. Etwas, das mein Heimweh und mein Fernweh miteinander kombiniert. Etwas, das mich zu Hause und auf Reisen gleichermaßen fühlen lässt. Etwas, das mich unabhängig mein eigenes Geld verdienen lässt, ohne dass ich an immer nur einem Ort in immer nur einer Stadt arbeiten muss. Es fühlt sich fast so sehr nach Freiheit an, wie eine richtige Reise. Ich fühle mich so viel leichter, so viel glücklicher, dass es mich fast schon beängstigt und ich mich frage, ob es normal ist, sich so zu fühlen. Konstant zwischen Hummeln im Hintern, Abenteuerlust und der Sehnsucht nach einem gemütlichen Abend auf dem Sofa, mit nichts weiter als einem Buch und einer Tafel Schokolade, hin- und herzuschwanken.

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Traumhaus?

Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich wieder in den alten Teufelskreis des Vergleichens gerate. Aber zum Glück habe ich jetzt die passende Antwort auf all diese Selbstzweifel und Fragen gefunden: Es ist okay. Es gibt nichts, was normal und weniger normal ist. Nur das, was uns von der Gesellschaft als normal und „unnormal“ eingebläut wird. Niemand kommt auf die Welt mit dem Wunsch, jeden Tag 40 Jahre lang denselben langweiligen Job auszuüben. Die meisten machen es zwar dennoch und gelten deshalb als normal, als erfolgreich. Einfach nur, weil sie mit der Masse gehen, mit dem Strom schwimmen. Aber ich habe es schon einmal gesagt und ich sage es wieder: Gegen den Strom zu schwimmen ist gut. Seine eigene Meinung zu haben ist gut. Sich seinen eigenen Weg suchen, sein eigenes Glück suchen ist gut. Anders zu sein ist gut. Und deshalb ist es mir ehrlich gesagt ganz einfach egal, ob es normal ist, sich so zu fühlen. Ich fühle mich so und das Wichtige ist, dass ich jetzt weiß, was mich glücklich macht, was ich brauche und wie ich es bekomme. You do you, I do me.

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